Home > Schwerpunkte > Therapie bei Post-Covid

Corona & Psychosomatik
Therapie bei Post-Covid


Corona - eine anhaltende Bedrohung.

Die aktuelle Situation in Deutschland und vielen europäischen Ländern ist von Lockerungen und der Hoffnung auf einen „guten Sommer“ geprägt. Gleichzeitig werden die psychosozialen Folgen deutlicher.  In Deutschland gibt es bisher über 80.000 Todesfälle, die Initiative des Bundespräsidenten, einen nationalen Gedenktag einzurichten, um „den Zahlen ein Gesicht zu geben und deutlich zu machen, dass es um Tod, Verluste und Schmerz in Familien geht“, ist sehr zu begrüßen.

Fast jeder von uns dürfte im Freundes- oder Bekanntenkreis auch Betroffene kennen. Viele schildern einen schweren Krankheitsverlauf, selbst wenn sie gar nicht ins Krankenhaus aufgenommen werden mussten. Inzwischen mehren sich auch die Hinweise darauf, dass es in bis zu 10% auch langanhaltende Verläufe gibt (Post-Covid, Long-Covid).

Vor allem in der ersten Welle kam es sehr häufig zu Todesfällen in Alten- und Pflegeheimen. Viele Betroffene Familienangehörige leiden bis heute darunter, dass sie die Sterbenden nicht begleiten durften oder dass es nicht möglich war, den Toten noch einmal zu sehen. Beerdigungen im ganz kleinen Kreis ohne Umarmungen oder Verbundenheitserfahrungen bei gemeinsamem Essen und Trinken danach erschweren Trauer und Abschiednehmen ganz erheblich.

Die Wirtschaft in der Ersten Welt scheint sich rasch zu erholen, Länder wie Indien oder Brasilien sind immer noch hart getroffen, weltweit sind über 1 Mrd. Arbeitsplätze weggefallen. Das Thema der Verteilungsgerechtigkeit zeigt sich gerade z.B. bei der Frage von Impfdosen für die Dritte Welt. Trotz der Impf-Erfolge ist u.a. wegen der Mutationen jedoch davon auszugehen, dass wir wohl alle lernen müssen, mit einer fortbestehenden Bedrohung umzugehen.

Was hat den Umgang mit Corona in der Gesellschaft so erschwert?

Sowohl individuell als auch kollektiv ist der Umgang mit Gefühlen von Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit sehr schwierig. Angst um die eigene Gesundheit und das eigene Leben oder das Leben älterer Angehöriger zu haben, ist sehr belastend und kann nicht wirklich verdrängt werden.

Gesamtgesellschaftlich entsteht der Eindruck einer von Angst getriebenen Kultur:  Angst, Fehler zu machen bzw. für Fehler zur Verantwortung gezogen zu werden, Angst, falsche Entscheidungen zu treffen bestimmt auch die politische Diskussion. Auf diese Angst reagieren viele Menschen wiederum mit Wut. So berichtete ein Patient kürzlich, dass er bereits wütend werde, wenn er im Straßenverkehr Autofahrer mit Maske sehe, die alleine in ihrem Auto sitzen. Ein kollektiver Bewältigungsversuch von Angst ist der Versuch, Kontrolle zu erlangen. Dies erklärt den Ruf nach einem strengen „Vater Staat“, der „die Zügel anziehen soll“ bzw. einem heftigen Kampf gegen einen als übermächtig erlebten Staat.

Schon Aristoteles bezeichnete den Menschen als soziales Wesen. Aus psychosomatischer Sicht gibt es keinen Zweifel, dass Bindung und Nähe zu den wesentlichen menschlichen Grundbedürfnissen gehören, die durch die AHA-Regeln Abstand, keinen Körperkontakt etc. erheblich erschwert werden.

Darüber hinaus sind lange Zeit wesentliche stabilisierende Ressourcen weggefallen. Viele Sportarten konnten nicht ausgeübt werden, Freunde treffen, in Vereinen aktiv sein oder Kino/Theater/Konzerte besuchen oder im Chor singen war nicht mehr möglich.

Schwere soziale Folgen – Corona trifft nicht alle gleich

Bei früheren historischen schweren Pandemien wie der Pest im 14. Jahrhundert war die Beobachtung zutreffend „der Schwarze Tod kennt keine gesellschaftlichen und Standes-Unterschiede“.

Dies ist bei Corona in dieser Weise nicht der Fall. Der Lockdown war in einer engen Sozialwohnung wesentlich schwerer auszuhalten als in einem Einfamilienhaus mit Garten. Menschen in prekären Lebenssituationen, die vom Mindestlohn leben, haben ein viel höheres Risiko arbeitslos zu werden, auch geraten Künstler oder Selbstständige häufig unverschuldet in finanziell-existenzielle Krisen und Not.

Weltweit leben zwei Milliarden Menschen von sozial nicht abgesicherten Gelegenheitstätigkeiten. In Deutschland mildert das Angebot der Kurzarbeit soziale Härten, dennoch kommen viele Familien in finanzielle Nöte. Auch in den Medien wird zurecht vermehrt von zunehmender sozialer Ungleichheit berichtet, auch die Belastung verteilt sich nicht sozial gleich. In Brennpunktschulen berichteten Lehrer davon, dass der Kontakt zu manchen Schülern und ihren Eltern komplett abriss, diese Familien haben oft keine Laptops oder eigene PCs, gleichzeitig sind Betreuungsangebote durch Sozialarbeiter / Schulpsychologen / Jugendamt eingeschränkt.

Die Telefonseelsorge berichtet von zunehmenden psychosozialen Krisen. Der Wegfall von Arbeit ist nicht nur ein finanzielles Problem, sondern ist auch ein Verlust an Selbstwirksamkeit und eine Einschränkung bei der Versorgung der eigenen Familie. Soziologen wie Jutta Allmendinger weisen auf vermehrte Belastung von Frauen hin, die Emanzipationsbewegung sei um 30 Jahre zurückgeworfen. Frauen tragen die Hauptlast beim Haushalt, aber auch bei Kita-Schließungen und Homeschooling. Homeoffice ist nicht nur eine Entlastung von Infektionsrisiko, bei öffentlichen Verkehrsmitteln oder Büroflächen, es handelt sich auch um vermehrten familiären Stress.

Auch im Bayerischen Ärzteblatt wird auf ungünstige Kompensation von Langeweile, Verlust von Ressourcen und familiären Stress hingewiesen: Alkoholkonsum / Tabakkonsum nehmen zu, ebenso Übergewicht. Psychosozial gibt es eine Zunahme von Familienkonflikten bis hin zu häuslicher Gewalt, gleichzeitig waren aufsuchende Hilfen erschwert und therapeutische Angebote, so hilfreich Video-Sprechstunden oft sein können, erschwert.

Die Situation von Kindern und Jugendlichen

In unseren drei psychosomatischen Kliniken im Konzern liegt der Altersdurchschnitt der Patienten bei etwa 50 Jahren. Dennoch erreichen uns viele Hinweise auf eine hohe Belastung bei Kindern und Jugendlichen, beginnend mit fehlender Tagesstrukturierung.

Die fehlende Möglichkeit, Freunde zu treffen, erschwert die anstehende Entwicklungsaufgabe von Jugendlichen, sich vom Elternhaus abzulösen und sich Peer Groups zuzuwenden, aber auch mehr Autonomie zu entwickeln. Viele Jugendliche erleben Ohnmacht und Fremdbestimmung. Schon kleine Kinder leiden unter häufigen Kita-Schließungen und dem Fehlen verbindlicher Strukturen. Bei älteren Schülern wechseln Präsenz- und Distanzunterricht, Prüfungen werden verschoben, es ist schwierig, Praktika oder Lehrstellen zu finden. Im OECD-Vergleich schneidet Deutschland immer schon schlecht ab, bis zu 25% der Kinder mit Migrationshintergrund verlassen die Schule ohne Schulabschluss. Hier ist eine weitere Zuspitzung der Situation zu befürchten, manche Soziologen sprechen bereits von einer „verlorenen Corona-Generation“. Studenten vermissen nicht nur das soziale Leben an der Universität mit der Entwicklung von oft lebenslangen Freundschaften, es ist für sie schwierig, Nebenjobs zu finden, viele ziehen wieder in ihr Kinderzimmer im Elternhaus.

Von Seiten der evangelischen Kirche hat der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sehr eindringlich vor einem „emotionalen Ruin“ bei vielen Kindern und Jugendlichen gewarnt.

Psychologische Folgen

Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen werden anstehende Entwicklungsschritte von der Autonomieentwicklung, der Ablösung vom Elternhaus bis zum Anschluss an Peer Groups deutlich erschwert.

Wir stellen immer wieder fest, dass Patienten, die psychiatrisch-psychotherapeutische Vorerkrankungen haben, mit den o.g. Belastungen durch Corona besonders schlecht zurechtkommen. Der Wegfall von Ressourcen, das Erleben von Isolation und Einsamkeit führt zu einer deutlichen Zunahme von Depressivität, Ängsten und auch Somatisierungen.

Niedergelassene Therapeuten berichten von erhöhtem Behandlungsbedarf. Wir erleben bereits, dass auch der Bedarf an stationärer Psychosomatik und Psychotherapie zunimmt. Gleichzeitig sehen wir auch gehäuft psychosoziale Krisen bei Menschen, die zuvor psychisch stabil waren. Ob es bezogen auf die Gesamtbevölkerung zu einer Zunahme von Depressionen kommt, kann abschließend derzeit wissenschaftlich noch nicht beantwortet werden.


Wie hilft Psychotherapie?

Psychotherapie will nicht nur körperliche Symptome wie Erschöpfung oder psychische Symptome wie Angst und Depression verbessern. Vor allem geht es darum, Resilienz zu stärken, die eigene Vitalität, kreative Kraft und die Verbundenheit mit anderen Menschen und der Welt wiederzuentdecken.



Post-Covid-Symptomatik | Unterschiede

  • Akute Covid-19-Erkrankung: Symptome bis zu 4 Wochen
  • Anhaltende Covid-19-Erkrankung: Symptomdauer von 4-12 Wochen
  • Post-Covid-Syndrom: Symptome, die auch nach Abklingen der Covid-Erkrankung länger als 12 Wochen anhalten, d.h. die Betroffenen sind genesen, aber nicht gesund

Bei nachweisbaren persistierenden Organmanifestationen durch Covid-19 wie fibrosierender Lungenerkrankung, myokardialen Veränderungen oder diabetogenen Stoffwechselveränderungen ist eine fachspezifische Reha angezeigt.

Bei etwa 10% der von Corona genesenen Patienten kommt es zu Long-Covid. Viele Hintergründe dieser Krankheitsentwicklungen sind noch unklar und werden intensiv erforscht. Die Entwicklung von Long-Covid scheint unabhängig vom primären Krankheitsverlauf zu sein. Die Patienten sind somit zwar von Corona genesen, aber keinesfalls gesund. Die Patienten können oft weiterhin wenig riechen oder schmecken, haben diffuse Schmerzen, muskuläre Schwäche und ziehen sich sozial zurück.

Bei Post-Covid-Erkrankungen ohne Nachweis einer Organmanifestation ist die Fatigue-Symptomatik vorherrschend. Sie umfasst neben allgemeinem Krankheitsgefühl mit Mattigkeit, Antriebslosigkeit, schneller Erschöpfung und mangelnder Belastbarkeit auch „neuro-kognitive“ Symptome wie vermehrte Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen. Das subjektive Erleben wird von Betroffenen sehr prägnant als „Brain-Fog“ (Nebel im Gehirn) beschrieben.

Bei psychischen Symptomen stehen meist Ängste und Depressivität im Vordergrund, teilweise auch Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung wie intrusive Bilder, Flashbacks, Übererregung mit Zittern und Schreckhaftigkeit (Hyperarousal) sowie Vermeidungsverhalten mit Rückzug, Gleichgültigkeit, „wie betäubt sein“ (Numbing).


Long-Covid / Post-Covid-Patienten in psychosomatischer Behandlung

I | Formale Voraussetzungen

 

Die Klinik ChiemseeWinkel in Seebruck ist eine psychosomatische Akutklinik, die Behandlung ist intensiver und umfassender als bei einer Rehabilitation. Die aktive Mitarbeit des Patienten ist erforderlich, die Einweisungs-Hauptdiagnose muss in der Regel eine Angststörung oder eine depressive Störung sein.

II | Somatische Abklärung

Vor einer stationären Aufnahme benötigen wir einen Überblick, welche somatischen Einschränkungen vorliegen.

Dazu gehören Befunde folgender Fachgebieten:

Pulmonal:
Lungenfunktion, ggfs. CT

Kardiologisch:
KG, Belastungs-EKG. Bei V.a. Läsionen im Bereich der Herzkranzgefäße kann ein Herzkatheter ggfs. durch ein Spiral-CT ersetzt werden.

Neurologisch:
Klinische Untersuchung, ob fokale Zeichen wie Sensibilitätsstörung, Lähmung oder Sprachstörungen vorliegen. Ggfs. CT oder MRT.

III | Unser Verständnis des Körpers in der Psychosomatik

Corona ist, insbesondere bei schwerem Verlauf, eine sehr schwere Erkrankung. Bleibende körperliche Einschränkungen stellen aus psychosomatischer Sicht aber keinen „Maschinenschaden“ dar.


Mit Heuft lässt sich der Körper als „ein Organisator der Entwicklung“ verstehen, wie wir dies im Rahmen der Pubertät oder des Alterungsprozesses kennen. Unser Denken und Fühlen ist nie losgelöst vom Körper möglich. Dies drückt sich sprachlich im Begriff des Leibes aus und wird in sehr umfassender Weise von der Embodiment-Forschung beschrieben. Die Psychosomatik versteht Krankheit grundsätzlich als ein bio-psycho-soziales Gesamtphänomen.

Wir ergänzen dieses psychosomatische Grundverständnis um die kulturell-systemische Dimension sowie Fragen von Lebensperspektiven und Sinnfragen. Diese können im Sinne von T. Schnell spirituell (vertikal) ausgerichtet sein, oder aber horizontal auf die Bedeutung von menschlichen Beziehungen abzielen.

IV | Die stationäre Behandlung als multiprofessionelle Teambehandlung...

...Was hat sich in der stationären psychosomatischen Behandlung bei der Corona-Bewältigung bewährt?
 

Wir haben langjährige Erfahrungen in der Behandlung von chronischen Schmerzpatienten. Auch bei chronischem Schmerz ist wissenschaftlich gut gesichert, dass es im Unterschied zum Akutschmerz hier keine einzelne Behandlungstechnik wie ein Medikament, Operation oder ähnliches gibt, das den Schmerz „wegmachen“ kann.

In ähnlicher Weise verstehen wir die Therapie von Post-Covid-Patienten als eine multimodale, multiprofessionelle Teambehandlung.

Besonders intensives Angebot einer multimodalen Komplexbehandlung

Unser multiprofessionelles Team setzt sich aus Arzt/Psychologen, Körper- und Erlebnistherapeuten, Co-Therapie, medizinische Trainingstherapie, Sport- und Bewegungstherapie, Physiotherapie sowie Sozialarbeiter zusammen.
Dabei sind erfahrungsgemäß folgende Themen in der Therapie von Post-Covid-Patienten besonders relevant:
 

A | Körperliche Aktivierung

Körperliche Aktivierung, ohne Schmerz- oder Belastungsgrenzen zu überschreiten. Hierdurch verbessern sich die Atmung, Lungenfunktion, das vegetative Nervensystem, der Schlaf und das Schmerzerleben. Es geht um das Erleben von Freiheitsgraden trotz engerer Grenzen.

Die Sport- und Bewegungstherapie findet überwiegend im Freien statt und wird ergänzt durch Massage, Physiotherapie, ggfs. Osteopathie sowie Entspannungsverfahren, Meditation.

B | Psychologische Behandlung

Psychologische Behandlung:

Krankheitsverarbeitung, evtl. unter Einschluss traumatherapeutischer Verfahren, ist ein wichtiges Thema in der Einzeltherapie.

Das Wiedererlangen von Ich-Vitalität wird wesentlich durch die Erlebnis- und Kreativtherapien (Kunst-/Tanz-/Musiktherapie, KBT) gefördert.

Beziehungen haben sich verändert, manche Beziehungen intensivieren sich, manche Freunde wenden sich ab. Hier bietet die Gruppentherapie besonders gute Möglichkeiten, Beziehungserfahrungen zu reflektieren.

Achtsamkeit und die Entwicklung von „radikaler Akzeptanz“ (M. Linehan), d.h. eine Haltung von „Ich würde es mir ganz anders wünschen, es ist aber, wie es ist“.

C | Existenzielle Dimension

Die existenzielle Dimension

Eine schwere Erkrankung hat immer auch eine existenzielle Dimension, ist eine Herausforderung, Resilienz zu entwickeln, die erlebten Erfahrungen zu verarbeiten und ggfs. das Selbstbild zu erweitern. Wenn eine neue soziale und berufliche Perspektive entwickelt werden soll, geschieht dies vorrangig in Einzeltherapie und Sozialarbeit.

Das gesamte Behandlerteam ist für Fragen von Sinn und Entwicklung offen.